Sport und Schlaf

Sport und Schlaf: Warum Regeneration kein Luxus ist, sondern über Leistung entscheidet

Wer im Sport Topleistung bringen will, muss regenerieren. Und wer regenerieren will, braucht guten Schlaf. Dieser Zusammenhang ist wissenschaftlich eindeutig belegt – wird aber im Leistungssport noch immer unterschätzt. Dabei ist Schlaf kein passives Ausruhen, sondern aktive Wiederherstellung: In der Tiefschlafphase laufen zentrale Prozesse ab wie Muskelreparatur, hormonelle Regulation, Immunsystemstärkung und kognitive Konsolidierung. Besonders relevant für Sportlerinnen und Sportler ist die Ausschüttung von Wachstumshormon (HGH), das in hohem Maße während der Tiefschlafphasen freigesetzt wird – insbesondere in der ersten Nachthälfte (van Cauter & Plat, 1996). Wer dauerhaft schlecht schläft, läuft Gefahr, dass diese biologischen Prozesse nicht ausreichend stattfinden – mit Konsequenzen für Anpassung, Leistungsstabilität und Verletzungsanfälligkeit.

Ein Blick in den Profifußball macht das Problem besonders greifbar. Spiele spätabends, Pressetermine, Reisen mit Zeitverschiebung und wechselnde Hotelumgebungen führen zu einem verschobenen zirkadianen Rhythmus und fragmentiertem Schlaf. Auch die DFB-Akademie bestätigt in einem aktuellen Artikel, dass Abendspiele mit massiven Einschränkungen für die Schlafqualität einhergehen: Über 90 % der Spieler:innen berichten nach späten Anstoßzeiten von Einschlafproblemen, 75 % verbringen nach Abpfiff noch Zeit vor Bildschirmen, und 15 % greifen sogar zu Schlafmitteln – was den Schlafrhythmus zusätzlich stören kann. Die Regenerationsphase nach dem Spiel wird dadurch unmittelbar negativ beeinflusst. Besonders alarmierend: Laut der DFB-Analyse haben sich bei vielen Spielern Zubettgehzeit, Schlafdauer und gesamte Schlafzeit nach Abendspielen deutlich verschlechtert.

Hansi Flick, Cheftrainer des FC Barcelona, machte seinem Unmut darüber auf einer Pressekonferenz am 15. April 2025 Luft:

„Warum können wir nicht um 18 Uhr oder 18:30 Uhr spielen, wie wir es normalerweise machen? Warum geht das nicht? Nennen Sie mir einen Grund! Und ich möchte denjenigen sehen, der dafür verantwortlich ist. Für mich ist es ein Witz.“

Zuvor hatte Flick den eng getakteten Spielplan öffentlich kritisiert – mit Blick auf das Champions-League-Halbfinale gegen Inter Mailand, das nur zwei Tage nach einem Ligaspiel gegen Valladolid angesetzt wurde. Die Spieler kämen oft erst um 3 oder 4 Uhr nachts an, seien erst um 5 Uhr im Bett – „und das zwei Tage vor einem der wichtigsten Spiele der Saison“. Flick betonte: „Ich möchte mit denjenigen sprechen, die dafür verantwortlich sind. Denn sie haben keine Idee, wie es ist.“

Seine Kritik gilt damit nicht nur der sportlichen Belastung, sondern auch dem fehlenden Verständnis für biologische Erholungszeiten. Zwischen einem Samstagabendspiel und einem Dienstagabendspiel auf höchstem Niveau bleiben oft gerade einmal 72 Stunden – zu wenig Zeit, um physiologisch vollständige Regeneration zu gewährleisten. Während das nächste Spiel bereits ansteht, ist der Körper noch mit der Verarbeitung der letzten Belastung beschäftigt.

Dass dies keine bloßen Befindlichkeiten sind, zeigen wissenschaftliche Daten: Über 40 % der Athlet:innen berichten von schlechter Schlafqualität (Mah et al., 2018). Elite-Sportler:innen schlafen im Durchschnitt nur rund 6,5 Stunden pro Nacht (Leeder et al., 2012; Sargent et al., 2014) – zu wenig für eine optimale Regeneration. Studien konnten zudem zeigen, dass Schlafmangel das Risiko für muskuläre Dysbalancen, Verletzungen und sogar Gehirnerschütterungen signifikant erhöht (Raikes et al., 2019). Inzwischen haben auch große Institutionen wie das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die NCAA Schlaf als zentralen Faktor für mentale und körperliche Gesundheit im Sport offiziell anerkannt (Reardon et al., 2019; Kroshus et al., 2019).

In Deutschland wurde das Thema systematisch im Rahmen des Forschungsprojekts REGman („Regenerationsmanagement im Spitzensport“) bearbeitet. Zwischen 2012 und 2020 wurden über 15 Teilstudien durchgeführt, in denen untersucht wurde, wie sich Ermüdung und Erholung praxistauglich erfassen, individualisieren und optimieren lassen. Das REGman-Team entwickelte u. a. das digitale Tool REGmon, mit dem Athlet:innen ihre individuellen Belastungs- und Erholungsdaten alltagstauglich erfassen und analysieren können. Auf Basis dieser Daten konnten personalisierte Regenerationsstrategien abgeleitet und sportartspezifisch umgesetzt werden. Das Projekt hat deutlich gemacht, wie wichtig ein wissenschaftlich fundiertes Monitoring von Erholungsprozessen ist – und welche zentrale Rolle dabei der Schlaf spielt (siehe REGman-Broschüren 2016, 2020).

Trotz dieser Fortschritte fehlt bislang ein zentrales Instrument, das alle relevanten Schlaf- und Regenerationsdaten systematisch integriert. Genau hier setzt die Idee eines sogenannten „Sleep Risk Index“ an. Ein solcher Index könnte auf Basis objektiver Schlafdaten wie Dauer und Qualität, der Herzratenvariabilität (HRV), Informationen zur zirkadianen Desynchronisation (etwa durch späte Anstoßzeiten oder Reisen), subjektiven Angaben zur Schläfrigkeit sowie standardisierter Fragebögen zu Schlafstörungen (z. B. PSQI, ISI oder ESS) frühzeitig Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Konzentrationsfehler, Leistungseinbußen oder Verletzungen liefern. Damit ließe sich Schlaf als messbarer, steuerbarer Faktor direkt in bestehende Monitoring- und Trainingssteuerungssysteme integrieren.

Was es jetzt braucht, ist ein klares Umdenken. Schlaf darf nicht als nachgelagerter Nebenaspekt betrachtet werden, sondern muss ein integraler Bestandteil sportwissenschaftlicher Betreuung und Trainingsplanung sein. Dazu gehört zum einen eine verbesserte Spiel- und Trainingsgestaltung mit schlaffreundlichen Zeiten und ausreichend Regenerationsfenstern. Zum anderen braucht es edukative Maßnahmen für Athlet:innen und Trainer:innen, um das Wissen über schlafbiologische Prozesse in die Praxis zu übertragen. Ebenso wichtig sind konkrete Tools zur Förderung der Schlafqualität: gezielte Atemtechniken, parasympathische Aktivierung, Kälteanwendungen, Lichtmanagement oder auditive Einschlafhilfen sind nur einige Beispiele für niedrigschwellige, aber wirksame Maßnahmen.

Am Ende entscheidet Schlaf über Sieg oder Niederlage, über Präzision oder Patzer, über Widerstandskraft oder Verletzung. Wer im Sport erfolgreich sein will – sei es im Amateurbereich oder im internationalen Spitzensport – muss den Schlaf als strategischen Leistungsfaktor begreifen. Die Wissenschaft ist längst einen Schritt voraus. Es ist Zeit, dass auch der Sportbetrieb folgt.

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